Beitragvon Rossi » 11.10.2010, 18:16
Ich will ja fair sein und den Kassen auch mal etwas gönnen. Hier haben wir den ersten gegenteiligen Beschluss des LSG NRW
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 16 KR 329/10 B ER 23.08.2010 rechtskräftig
Allerdings ist die Begründung mehr als niedlich. Ich für meinen Teil halte nämlich fest, wenn ich den Beschluss lese, dass die Kammer sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hat den Begründung zum Gesetzentwurf zu lesen oder gar zu verstehen.
Es kann dahinstehen, ob - wie das SG und die Ag meinen - ein Anspruchsteller sich bei Nichterfüllung der Versicherungspflicht so behandeln lassen muss, als sei er tatsächlich versichert oder ob das tatsächliche Bestehen einer privaten Versicherung am letzten Tag vor dem Bezug des Alg-II ("unmittelbar") erforderlich ist (so SG Berlin, Beschluss vom 01.10.2010 - S 36 KR 182/10 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2010 - L 9 KR 33/10 B ER). Gegen die Ansicht des SG spricht allerdings, dass in der PKV, anders als in der GKV, die Versicherungspflicht nicht automatisch zur Begründung eines Versicherungsverhältnisses führt, sondern nur die Verpflichtung zum Abschluss eines Versicherungsvertrages begründet. Als einzige Sanktion bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung hat der Gesetzgeber den Prämienzuschlag (§ 193 Abs. 4 VVG) vorgesehen. Der Gesetzgeber geht jedoch ausweislich der 2. Alternative des § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V davon aus, dass ungeachtet der bestehenden Versicherungspflicht Personen weiter ohne Versicherungsschutz sein können.
Jedoch ist die Versicherungspflicht nach der 2. Alternative ausgeschlossen. Zwar übte der Bf zum Zeitpunkt des Eintritts des Alg-II-Bezugs keine selbständige Tätigkeit mehr aus. Anders als das SG Berlin (a.a.O.) und das LSG Berlin (a.a.O.) hält der Senat es aber nicht für erforderlich, dass die selbständige Tätigkeit bis zum Beginn des Alg-II-Bezugs ausgeübt worden ist. Der Wortlaut der Bestimmung fordert dies nicht. Das Wort "unmittelbar" bezieht sich nur auf den Status als Versicherter: Wer - aus welchen Gründen auch immer - bis zum Beginn des Alg-II-Bezugs privat versichert war, bleibt in diesem System, während Personen, die zu diesem Zeitpunkt ohne Versicherungsschutz sind, nur dann nicht gesetzlich versichert sind, wenn sie dem Personenkreis angehören, der nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung dem System der PKV zuzuordnen ist. Auch die Formulierung "gehört" zwingt nicht zur Auslegung, dass die selbständige Tätigkeit noch bis zum Beginn des Alg-II-Bezugs ausgeübt worden sein muss. Für die Frage der Zugehörigkeit zum Kreis der oben bezeichneten Personen kommt es, wie durch den Wechsel vom Imperfekt ("versichert war") ins Präsens ("gehört") deutlich wird, nicht auf den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Bezug von Alg-II an. Entscheidend ist vielmehr die Zugehörigkeit des betreffenden Alg-II-Beziehers zum Kreis der maßgeblichen Personen. Für diese Zugehörigkeit kann es aber nicht darauf ankommen, ob die selbstständige Tätigkeit aktuell - auch während des Leistungsbezugs - noch ausgeübt wird. Sonst würde die Zuordnung in der Hand des Betroffenen liegen und davon abhängen, ob erst die Tätigkeit eingestellt wird und dann der Alg-II-Antrag gestellt wird oder umgekehrt. Maßgeblich ist vielmehr der Status des Alg-II-Beziehers, wie er ihn durch die letzte berufliche Tätigkeit erworben hatte, ob er also grundsätzlich zu dem Personenkreis gehört, der nach § 5 Abs. 5 SGB V oder nach § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V der privaten KV zugewiesenen war und ist (so wohl auch Marlow/Spuhl, a.a.O., S. 594), unabhängig davon, welche Aktivitäten er während des Leistungsbezugs als Selbständiger noch verrichtet. An diesen Status knüpft das SGB V in der Fassung durch GKV-WSG für die Zuordnung zu einem der KV-Systeme stets an (vgl. z.B. BT-Drucksache 16/3100 S. 94)
Übersetzt heißt das jetzt, nur bei der 1. Alternative kommt es darauf an, dass jemand unmittelbar vor dem ALG II-Bezug tatsächlich privat versichert ist.
Bei der 2. Alternative (weder gesetzlich noch privat versichert) gilt der Begriff unmittelbar nicht. Hier kann man dann Jahre zurückgucken.
Nun denn, die Begründung zum Gesetzentwurf sagt aber:
(Seite 94/95 Drucksache 16/3100)
Gleiches gilt für die Personen, die unmittelbar vor dem Leistungsbezug weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren und als hauptberuflich selbständig Erwerbstätige oder als versicherungsfreie Personen zu dem Personenkreis gehören, der grundsätzlich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen ist. Die Regelung dient damit auch einer gleichmäßigeren Lastenverteilung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung.
Vermutlich hat die Kammer dies im Hopp Hopp und Schweinsgalopp übersehen.
Die vom SG Berlin veröffentlichen Urteile bzw. Beschlüsse sollten auch deutlich machen, dass man sich dort etwas intensiver mit der Problematik beschäftigt hat.
Nu steht es 8 : 1 gegen die Kassen. Mal sehen, wie es weitergeht!