Grundsicherung- Basistarif PKV- unterschiedliche Handhabung

Erfahrungsberichte, Beitragserhöhungen, Versicherungspflicht, gesetzlich oder privat, usw.

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Beitragvon Rossi » 11.07.2010, 23:53

Na ja - RHW - ich glaube kaum, dass hier ne Petition etwas bringt.

Es ist nicht nur, sondern es war von Anfang an allen Politikern bekannt, welche Bockmist sie dort verzapft haben.

Es ist relativ einfach zu beantworten; man konnte sich einfach nicht einigen und deswegen ist diese Vorschrift so in kraft getreten. Dass es auf den Rücken der Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft ausgetragen wird, muss ich doch hier wohl nicht mehr in die Runde werfen, oder?

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Beitragvon Rossi » 11.07.2010, 23:58

Ach ja, das beste Beispiel wird natürlich sein, wenn hungehaken demnächst - weil er staatlich alleingelassen wird - Rückstände in der priv. Pflegeversicherung hat und deswegen gegen ihn Erzwingungshaft angeordnet wird.

Sorry, ich bin mittlerweile seit fast 30 Jahren im sozialen Bereich tätig, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Aber irgendwann ist es immer das erste mal!

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Beitragvon Rossi » 12.07.2010, 08:11

So langsam mehren sich die ersten Urteile.

Hier ein Urteil des SG Aachen im Bereich des ALG II. Hier wurde die ARGE verdonnert.

Sozialgericht Aachen S 5 AS 154/09 19.05.2010

http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=130735&s0=Basistarif&s1=&s2=&words=&sensitive=

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Beitragvon hungerhaken » 12.07.2010, 11:11

@rossi

gibt es Erkenntnisse, ob die ARGE Berufung gegen das Urteil des SG Aachen eingelegt hat oder ob es gar eine Sprungrevision gibt?

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Beitragvon Rossi » 12.07.2010, 11:53

Es soll mittlerweile beim LSG NRW anhängig sein!

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Beitragvon Dipling » 14.07.2010, 19:06

Das Problem und die resultierenden Urteile werden mittlerweile einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Eine weitere Niederlage der Arge vor dem Landessozialgericht für das Saarland:.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/sozial ... 24,00.html

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Beitragvon Rossi » 14.07.2010, 19:57

Jooh, dipling, so wie es aussieht ist es sogar ein Urteil eines LSG und keine Schnellentscheidung.

Die ARGEN bleiben offenischtlich immer noch ein wenig sturr und berufen sich auf den sog. Vorbehalt des Gesetzes. Die bereits ergangenen Entscheidungen sind alles Einzelfallentscheidungen und ändern den Wortlaut des berüchtigten § 12 Abs. 1 c Satz 6 VAG nicht!

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Beitragvon Rossi » 15.07.2010, 20:19

Hier wohl so eine Art einer Zusage, dass man schnell reagieren will.

http://www.bundestag.de/presse/hib/2010_07/2010_236/06.html

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Beitragvon hungerhaken » 18.07.2010, 17:23

Nun, wenn man sich die Mühe macht und die kurze Stellungnahme des BM Arbeit und Soziales liest, dann wundert sich der Hungerhaken gewaltig. Seit Jahren ist der Regierung die Auswirkung des Nicht- Handeln- wollens hinsichtlich der Deckungslücke bekannt. Und die angedachten Lösungen: Entweder die PKV's müssen aus dem Topf der Versicherten noch mal drauflegen oder die Betroffenen werden in des GKV überführt. Wie soll den das rechtlich funktionieren?

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Beitragvon Rossi » 30.07.2010, 22:05

Hm, die Bundesregierung wirft doch 3 Lösungsvorschläge in den Ring:

- Satz 6 so zu ändern, dass die PKV nur den Beitrag fordern darf, der für einen ALG II-Pflichtversicherten auch zu zahlen ist

- Satz 6 zu ändern, in dem der hälftige Höchstbeitrag zu übernehmen ist

- Überführung der ALG II-Empfänger in die Pflichtversicherung der GKV


Die SGB XII-Betroffenen hat man allerdings bei der letzten Variante nicht berücksichtigt.

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Beitragvon Rossi » 04.08.2010, 20:25

Auch die ersten Urteile im SGB XII trudeln ein.

Ein sehr kundenfreundliches Urteil hat das SG Mannheim gesprochen:

Urteil SG Mannheim vom 12.07.2010, 9 Kammer, - S 9 SO 1354/10

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09) ist für eine Übergangszeit abzuleiten, dass die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach § 32 Abs. 5 SGB XII zumindest in Höhe des vollen Basistarifes zu übernehmen sind. § 12 Abs. 1 c VAG steht dem nicht entgegen.


Tenor:
1. Unter Abänderung der Bescheide vom 11.12.2009 und vom 4.3.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.2010 und des Änderungsbescheides vom 12.5.2010 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit von Januar bis Dezember 2010 unter Berücksichtigung eines monatlichen Beitrages zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 327,19 € höhere Leistungen zu gewähren.
2. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:
Die 87-jährige Klägerin macht im Rahmen der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) für die Zeit seit Januar 2010 (bis Dezember 2010) höhere Leistungen zur Finanzierung ihrer privaten Kranken- und Pflegeversicherung geltend.

Die Klägerin erhält schon seit längerem Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel des SGB XII) und Hilfe zur Pflege (7. Kapitel des SGB XII).

Mit Bescheiden vom 11.12.2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin auch für das Kalenderjahr 2010 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich 426,20 € und nach dem 7. Kapitel des SGB XII. Für die private Kranken- und Pflegeversicherung wurden hierbei - wie schon für die Zeit seit Mai 2009 - weiterhin nur 147,33 € berücksichtigt.

Am 11.1.2010 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 11.12.2009 Widerspruch und beantragte zugleich, die für den Leistungszeitraum ab Mai 2009 erteilten Bescheide nach § 44 Sozialgesetzbuch X (SGB X) zu überprüfen. Es führe zu einem verfassungswidrigen unauflösbaren Wertungswiderspruch, wenn der Sozialhilfeträger unter Rückgriff auf § 12 Abs. 1 c Satz 6 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) nur den Versicherungsbeitrag übernehme, der bei einem Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung anfalle. Ihr könne nicht zugemutet werden, die Differenz aus ihrer Regelleistung zu tragen. Dies verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip, wonach es Sache des Staates sei, eine ausreichende Fürsorge und das Existenzminimum sicherzustellen.

Mit Bescheiden vom 4.3.2010 teilte der Beklagte der Klägerin mit, für die Zeit von April 2010 bis Dezember 2010 könnten bei den Leistungen nach dem 4. und 7. Kapitel nur noch ein Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung von 144,09 € monatlich anerkannt werden. Ab dem 1.1.2010 habe sich nämlich für die Bezieher von Arbeitslosengeld II der entsprechende Beitrag reduziert.

Am 8.3.2010 wies der Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen zurück: Wenn die Signal Iduna von der Klägerin einen höheren Beitrag fordere, bestehe darauf kein Rechtsanspruch: Nach dem VAG könne der Sozialhilfeträger nur noch denjenigen Beitrag übernehmen, der für Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Versicherung anfalle. Dies seien monatlich 129,54 € (Krankenversicherung) und 17,79 € (Pflegeversicherung).

Am 6.4.2010 erhob die Klägerin -der Rechtsmittelbelehrung entsprechend- gegen die Bescheide vom 4.3.2010 Widerspruch und beantragte sodann unter Bezugnahme auf § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Widerspruchsverfahren ruhend zu stellen. Hiermit erklärte sich der Beklagte einverstanden.

Zugleich hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 9.3.2010 dazu an, dass beabsichtigt sei, für die Zeit von Mai 2009 bis Dezember 2009 an den bisherigen Bescheiden festzuhalten. Die Klägerin könne sich hierzu bis zum 9.4.2010 äußern.

Am 12.4.2010 hat die Klägerin (gegen den Widerspruchsbescheid vom 8.3.2010) Klage zum Sozialgericht erhoben und führt aus, sie sei bei der Signal Iduna im sogenannten Basistarif versichert. Seit dem 1.1.2010 belaufe sich der monatliche Gesamtbeitrag auf 327,19 € (Private Krankenversicherung: 290,63 €, Private Pflegeversicherung: 36,56 €). Gleichwohl übernehme der Beklagte im Rahmen der Sozialhilfe nur einen monatlichen Beitrag von 147,33 €. Das Sozialgericht Karlsruhe habe festgestellt, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ nicht durch einen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 c Satz 6 VAG eingeschränkt werden könne.

Somit beantragt die Klägerin,
unter Abänderung der Bescheide vom 11.12.2009 und vom 4.3.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.2010 und des Änderungsbescheides vom 12.5.2010 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit von Januar bis Dezember 2010 unter Berücksichtigung eines monatlichen Beitrages zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 327,19 € höhere Leistungen zu gewähren.
Der Beklagte tritt der Klage entgegen und beantragt unter Bezugnahme auf seine bisherigen Ausführungen,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend legte er den Änderungsbescheid vom 12.5.2010 vor (Pflegesatzänderung ab dem 1.6.2010).

Ein Eilantrag der Klägerin vom 11.5.2009 ist erfolglos geblieben (Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 19.5.2009 - S 9 SO 1541/09 ER): Es stehe mit den gesetzlichen Vorschriften in Übereinstimmung, wenn der Beklagte für die private Kranken-und Pflegeversicherung nur noch einen monatlichen Betrag von 147,33 € anerkenne. Der gesetzlichen Systematik könne entnommen werden, dass die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus der Reduzierung des Beitrages für Hilfebezieher ergeben, alleine zulasten des Systems der privaten Kranken-und Pflegeversicherung gehen sollen. Hieraus sei abzuleiten, dass die Klägerin primär gehalten sei, ihren Anspruch auf Beitragsreduzierung gegenüber der Signal Iduna geltend zu machen. Es können nicht Sache des Sozialhilfeträgers sein, der Klägerin für ihre private Kranken- und Pflegeversicherung Leistungen zu erbringen, die sie zivilrechtlich gar nicht schulde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte des Beklagten (6 Bände) und auf die Prozessakte sowie die genannte Verfahrensakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG) zulässig und erstreckt sich dem angefochtenen Ausgangsbescheid vom 11.12.2009 entsprechend auf den Leistungszeitraum von Januar bis Dezember 2010. Somit sind die Folgebescheide vom 1.3.2010 vom 12.5.2010 in das laufende Widerspruchs- bzw. Klageverfahren einbezogen worden (§§ 86 und 96 SGG).

Die Klage ist begründet.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Übernahme ihrer Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung im Rahmen der Sozialhilfe nach dem SGB XII erfüllen. § 32 Abs. 5 SGB XII enthält für die Höhe dieses Anspruches keine betragsmäßige Begrenzung, sondern sieht vor, dass diese Beiträge vom Sozialhilfeträger zu übernehmen sind, „soweit sie angemessen“ sind.

Wenn § 12 Abs. 1c VAG diese offene Regelung betragsmäßig begrenzt, führt dies nach Auffassung des Gerichtes zu einem offenkundigen gesetzgeberischen Regelungswiderspruch, der unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes des vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09) im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung dahin aufzulösen ist, dass Sozialhilfebezieher, die kraft Gesetzes verpflichtet sind, eine private Kranken- und Pflegeversicherung zu begründen bzw. aufrechtzuerhalten und keinen Zugang zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung haben, durch den Sozialhilfeträger die Übernahme ihrer Beiträge im Basistarif - oder falls der reale Tarif niedriger ist in diesem Tarif - beanspruchen können. Denn der Gesetzgeber handelt in dieser Situation grob sozialstaatswidrig und verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Normenklarheit (vgl. hierzu Jarras/Pieroth, GG, 10. Auflage 2009, Art. 20 Rdnrn 57 f.), wenn er auf der einen Seite den genannten Personenkreis, der offenkundig nicht in der Lage ist, sein menschenwürdiges Existenzminimum aus eigener Kraft zu sichern, im Bereich der privaten Kranken- und Pflegeversicherung einem Kontrahierungszwang unterwirft, diesem aber auf der anderen Seite im Rahmen der Sozialhilfe die erforderlichen Mittel zur Beitragszahlung vorenthält. Darauf laufen die Vorschriften im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und im VAG jedoch hinaus. Denn § 193 (vor allem Abs. 3 und Abs. 6) VVG verpflichtet den genannten Personenkreis, sich bei einem privaten Versicherungsunternehmen gegen das Risiko der Krankheit und Pflege zu versichern. Die Versicherungsunternehmen werden verpflichtet, diesem Personenkreis den sogenannten „Basistarif“, der dem Leistungskatalog der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gleichwertig sein muss, anzubieten. Gleichwohl können diese -mittellosen- Personen nach § 12 Abs. 1 c (vor allem Sätze 4 und 6) VAG vom Sozialhilfeträger lediglich den Betrag beanspruchen, der bei Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II in Form einer Pauschale an den dann zuständigen gesetzlichen Versicherungsträger abzuführen wäre. Hierdurch kommt es zwangsläufig zu einer erheblichen Beitragslücke, wobei der Gesetzgeber sehenden Auges in Kauf nimmt, dass die Betroffenen diese entweder aus der Regelleistung, die für die elementaren Bedürfnisse des täglichen Lebens gedacht ist, bestreiten müssen oder aber in dem verfassungsrechtlich besonders hervorgehobenen Lebensbereich von Gesundheit und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG) eine Bedarfsunterdeckung eintritt.

Dieser gesetzliche Zustand ist aus Sicht des Sozialgerichts unhaltbar und bedarf dringend einer Korrektur durch den Gesetzgeber. Hierbei kommen aus Sicht des Gerichts drei Varianten in Betracht:
1. Zum einen wäre es denkbar, diesen Personenkreis der gesetzlichen Sozialversicherung zuzuordnen und dementsprechend die Zahlung eines - ggf. pauschalierten - Beitrages durch den Sozialhilfeträger an die jeweilige gesetzliche Kranken- und Pflegekasse anzuordnen. Dies wäre sicherlich die Regelung, die der Systematik der gesetzlichen Sozialversicherung und dem Sozialstaatsprinzip am ehesten entsprechen würde.
23
2. Denkbar wäre es aber auch, den Sozialhilfeträger zu verpflichten, für den genannten Personenkreis den vollen im Basistarif geschuldeten Versicherungsbeitrag (ggf. begrenzt auf den niedrigeren realen Tarif) zu übernehmen. Diesen Weg hält das Gericht wie sogleich ausgeführt wird im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung für eine Übergangszeit bis zu einer Neuregelung des Gesetzgebers für angemessen.
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3. Schließlich könnte es auch in Betracht kommen, den Beitragsanspruch des privaten Versicherungsunternehmens gegenüber dem Versicherten auf den Betrag zu begrenzen, der im Rahmen der Sozialhilfe zu übernehmen ist (vgl. hierzu Uda Bastians-Osthaus, Empfänger/innen von Transferleistungen im Basistarif der privaten Krankenversicherung - ein fortdauerndes Trauerspiel, in: NDV April 2010, Seiten 154 ff., in diese Richtung auch SG Mannheim, Beschluss vom 19.5.2009 - S 9 SO 1541/09 ER).

Im Interesse der Versicherten bzw. der Sozialhilfebezieher hält es das Gericht für eine Übergangszeit in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09) für erforderlich, die Beklagte zu verpflichten, zu Gunsten der Klägerin den vollen Beitrag im Basistarif zu übernehmen. Nur so kann nämlich dem Sozialstaatsprinzip entsprechend kurzfristig ein umfassender Schutz in dem besonders sensiblen Bereich von Leben und körperlicher Unversehrtheit hergestellt werden! Der aufgezeigte dritte Weg würde die Klägerin zwingen, zivilrechtlich gegen ihr Versicherungsunternehmen vorzugehen und in diesem Zusammenhang die Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung einzuwenden. Dies erscheint dem Sozialgericht bei gründlicher Prüfung der Sach- und Rechtslage entgegen seinen Andeutungen in dem zitierten Beschluss vom 19.5.2009 (S 9 SO 1541/09 ER) nicht angemessen, denn es ist durchaus zweifelhaft, ob das privaten Versicherungsunternehmen in Anbetracht seiner Grundrechte (Art. 12 und Art. 14 GG) von verfassungswegen verpflichtet werden kann, einen so weitgehenden Sozialausgleich durchzuführen (vgl. hierzu auch Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10.6.2009 - 1 BvR 706/08 u.a). Zudem liegt der Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Betrachtungen im Bereich des Sozialstaatsprinzips, so dass es zumindest bis zu einer klaren gesetzlichen Regelung geboten ist, einen verfassungskonformen Zustand im Rahmen der Auslegung zu Lasten der öffentlichen Hand herzustellen. Es würde zu einer unzumutbaren Belastung der Leistungsbezieher führen, wenn diese ihre Rechte zunächst gegenüber dem Versicherungsunternehmen (mit ungewissem Ausgang!) zivilrechtlich geltend machen müssten. Daher orientiert sich das Gericht an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09). Durch die Vorschriften des VAG kommt es aus Sicht der Klägerin zu einer laufenden, nicht nur einmaligen und unabwendbaren Bedarfsunterdeckung, so dass die vom Bundesverfassungs-gericht postulierten Voraussetzungen einer -außergesetzlichen- Härtefallleistung gegeben sind. Unerheblich ist hierbei, dass der Gesetzgeber das genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bislang lediglich für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II umgesetzt hat (vgl. hierzu § 21 Abs. 6 SGB II in der Fassung von Artikel 3a des Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführen Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze - BGBl. I 2010, 671). Denn die gleiche rechtliche Problematik stellt sich offenkundig auch im Bereich der Sozialhilfe nach dem SGB XII. Bis zu einer klaren gesetzlichen Regelung hält es das Gericht daher für erforderlich, unter Hinweis auf § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zu Gunsten der Klägerin und des Klägers eine abweichende, den Regelbedarf überschreitende Bedarfsbemessung, die die Versicherungsbeiträge in dem genannten Umfange mit einschließt, durchzuführen (so im Ergebnis mit ähnlicher Begründung auch LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 30.6.2009 - L 2 SO 2529/09 ER-B und vom 8.7.2009 - L 7 SO 2453/09 ER-B sowie vom 16.9.2009 - L 3 AS 3934/09 ER-B, LSG Hessen, Beschluss vom 14.12.2009 - L 7 SO 165/09 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.12.2009 - L 9 B 49/09 SO ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 3.12.2009 - L 15 AS 1048/09 B und Urteil SG Mannheim vom 26.2.2010 - S 2 SO 1411/09, SG Karlsruhe, Urteil vom 29.10.2009 - S 1 SO 3118/09, SG Chemnitz, Urteil vom 16.6.2010 - S 3 AS 450/10, SG Düsseldorf, Urteil vom 12.4.2010 - S 29 AS 547/10 und SG Stuttgart, Urteilt vom 14.1.2010 - S 9 AS 5449/09; anderer Auffassung wohl SG Berlin, Urteil vom 27.11.2009 - S 37 AS 31127/09).

Unter Bezugnahme auf § 131 Abs. 3 SGG macht das Gericht daher von der Möglichkeit Gebrauch, den Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, die Leistungen der Klägerin für das Kalenderjahr 2010 unter Berücksichtigung des von ihr für die Private Kranken- und Pflegeversicherung geschuldeten (halben) Basistarifs in Höhe von monatlich 327,19 € monatlich neu zu berechnen und einen entsprechenden Bescheid zu erteilen.

Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Klage erfolgreich ist.

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Beitragvon Rossi » 04.08.2010, 20:32

Hier ein Beschluss des LSG NRW:

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 12 B 107/09 SO ER 06.05.2010 rechtskräftig

http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=129811&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 06.07.2009 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (S 2 SO 102/09) gegen den Änderungsbescheid der Antragsgegnerin vom 19.02.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2009 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt B aus F ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.

Hier hatte ein Sozialhilfeträger zunächst ab Janaur 2009 einen höheren Beitragszuschuss bewilligt und kam mit mal auf die Idee, dass der Zuschuss nach § 12 Abs. 1 c Satz 6 VAG doch wohl zu begrenzen sei.

Daher hob er den ursprünglichen Bescheid einfach auf und setzte die Leistung neu fest, natürlich mit dem gedeckelten Beitrag. Die sofortige Vollziehung des herabgesetzen Beitrags wurde angeordnet.

Da hat das LSG aber dem Sozialhilfeträger auf die Finger gekloppt.

"Die Begründung der Antragsgegnerin lässt insbesondere nicht erkennen, aus welchen besonderen Gründen des Einzelfalls entgegen dem vom Gesetzgeber als Regelfall angeordneten Überwiegen des Aussetzungsinteresses eine sofortige Vollziehung gerade im hiesigen Einzelfall erforderlich sein soll. Diese beschränkt sich vielmehr auf allgemeine Wendungen und Argumente, die weder den Einzelfall überhaupt noch dessen Besonderheiten aufgreifen und diesen daher auch nicht gerecht werden (vgl. für eine vergleichbare Konstellation: LSG NRW, Beschluss vom 18.12.2009 - L 9 B 49/09 SO ER -). Die Antragsgegnerin hat zur Begründung zum einen lediglich darauf hingewiesen, dass es im öffentlichen Interesse liege, öffentliche Mittel nur in dem Umfang zu erbringen in dem sie gesetzlich vorgeschrieben seien. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein Eingehen auf den Einzelfall, sondern nur um die Wiederholung eines allgemein geltenden Grundsatzes des öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandelns. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ist einer Vielzahl öffentlich-rechtlicher Normen zu entnehmen. Soweit die Antragsgegnerin zur Begründung darüber hinaus noch ausgeführt hat, sie wolle den Antragsteller vor einer Rückzahlungsverpflichtung schützen, lässt auch dies nicht erkennen, warum dies gerade im konkreten Einzelfall ein Überwiegen des Vollziehungsinteresses begründen soll. Denn auch bei diesem Argument handelt es sich um eine jeden Leistungsfall betreffende Selbstverständlichkeit, da eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung grundsätzlich jeden Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII betrifft, der solche zu Unrecht bezieht bzw. bezogen hat. Darüber hinaus zeigt bereits die äußere Form des Schreibens der Antragsgegnerin vom 24.03.2009, soweit dieses der Behörde die Möglichkeit einräumt einzelne Textpassagen durch Ankreuzen zum Teil des Schreibens zu machen bzw. darauf zu verzichten, dass eine Einzelfallentscheidung offensichtlich nicht beabsichtigt war. Zwar nimmt die Behörde mit diesem eine Individualisierung und Anpassung ihres Standardschreibens an den Einzelfall insoweit vor, als sie sich für eine der danach möglichen Textvarianten entscheidet"

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Beitragvon Rossi » 10.08.2010, 21:39

Das nächste Verfahren ist beim BSG im Bereich des ALG II anhängig:

http://www.bsg.bund.de/cln_115/nn_138176/SharedDocs/Publikationen/Rechtsfragen/Senat__4,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Senat_4.pdf

B 4 AS 108/10 R Vorinstanz: LSG Saarbrücken, L 9 AS 15/09

Sind bei Beziehern von Arbeitslosengeld II, die privat krankenversichert sind und ab 1.1.2009 gemäß § 5 Abs 5a S 1 SGB V durch den Leistungsbezug nicht mehr versicherungspflichtig werden können, unter verfassungskonformer Auslegung des § 26 Abs 2 SGB II die Beiträge zur privaten Krankenversicherung ohne eine Begrenzung nach § 12 Abs 1c S 6 VAG in voller Höhe zu übernehmen?



Nun denn, dann wollen wir mal schauen wer schneller ist. Unser lieber Gesetzgeber, der der fragwürdigen Regelungen erkannt hat und schon seit Monaten grübelt, oder das BSG!?

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Beitragvon Rossi » 11.08.2010, 18:48

Hier haben wir nun einen weiteren Beschluss im Rahmen des ALG II des LSG Niedersachsen Bremen. Diesmal ist es offensichtlich ein anderer Senat, denn hier wird es abgemeiert. Da kann man mal sehen, selbst im gleichen LSG ist man unterschiedlicher Meinung.

http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=128712&s0=Basistarif&s1=&s2=&words=&sensitive=

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Beitragvon Rossi » 11.09.2010, 23:47

Es geht weiter im ALG II

Zitat:

Ein privatversicherter Hartz-IV-Empfänger hat vor dem hannoverschen Sozialgericht einen womöglich weitreichenden Sieg errungen: Die Kammer verpflichtete das Jobcenter der Region, einen durch eine Gesetzeslücke entstandenen Differenzbetrag für seine Krankenversicherung in voller Höhe zu zahlen.

Guckt ihr hier:

http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Jobcenter-soll-volle-Differenz-zahlen


„Wir sind der Auffassung, dass der Gesetzgeber nicht wollte, dass die Betroffenen auf den für sie erheblichen Summen sitzen bleiben“, sagt die Vorsitzende Richterin der 57. Kammer, Anke Smollich, zur Begründung. I

hrer Erkenntnis nach war es die erste Entscheidung ihrer Art in der Hauptsache, die ein Gericht in Niedersachsen getroffen hat.


Andere warteten auf eine grundsätzliche Entscheidung des Bundessozialgerichts, dem zwei Fälle vorliegen. Urteile in der Nebensache, über einstweiligen Rechtsschutz, habe es schon mehrere gegeben – mit unterschiedlichen Tendenzen. „


„Wir wollten uns nicht mehr hinter den einstweiligen Verfahren verschanzen, sondern den Kollegen ein Signal geben.“

Dann wollen wir mal hoffen, dass dies Signal bei den Kollegen der Richterschaft irgendie bzw. irgendwo im Sinne der Betroffenen ankommt und bald endlich mit der staatlich verordneten Verschuldung Feierabend ist.

Aber zum Schluss heißt es:

Allerdings hat das Jobcenter angekündigt, in Berufung zu gehen.

Na ja, das Job-Center versteckt sich natürlich hinter dem Vorbehalt des Gesetzes. Ich bin mir sicher, dass sich die besagte Verantwortliche noch nie in einer gleichartigen Situation befunden hat.

Meine persönliche Anmerkung:

Gerade im Niedersachsen hat die Rechtsprechung eine eindeutige Tendenz. Fast alle Verfahren gehen in die Buchse, bzw. werden die SGB II-Träger mit Pauken und Trompeten verdonnert den hälftigen Beitrag im Basistarif zu löhnen.

Und noch immer lassen die Niedersachsen die Kunden im Regen stehen; irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo Willkürheit den ARGEN unterstellt werden muss.


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