Hilfe! Grundsicherung / Beiträge PKV

Erfahrungsberichte, Beitragserhöhungen, Versicherungspflicht, gesetzlich oder privat, usw.

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Rolien
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Beitragvon Rolien » 29.04.2009, 14:18

Hallo! Is schon klar, nur in dem Fall würde ja auch der gesetzliche vorgeschriebene Zuschuss durch die Arge entsprechend angehoben, oder etwa nicht? Aber die Arge interessiert doch nicht mein individueller Beitrag in einem xy-Tarif... Also wenn die PKV meinen Beitrag munter weiter erhöht, erhöht sich doch nicht der Arge-Zuschuss...da liegt doch für mich der Hase im Pfeffer....das würde demnach für mich für den Wechsel in den Basistarif sprechen...Die Frage ist, ist der Standardtarif so viel attraktiver als der Basistarif, dass ich drin bleibe und Beitragserhöhungen aus eigener Tasche zuschieß oder nicht...? :? :?:

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Beitragvon Rossi » 01.05.2009, 11:01

Obwohl dieses Problem schon bei der Begründung zum Gesetzentwurf allen Politikern bekannt war, scheint sich der politische Druck nunmehr zu erhöhen.

Guckt mal hier, ein Antrag an den Bundestag.




http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/127/1612734.pdf

Altmann
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Beitragvon Altmann » 21.05.2009, 12:12

Hallo zusammen,
also mich treibt das ganze Problem auch um. Ich bin sozusagen nicht
hilfebedürftig, weil ich ein paar Sparzinsen bekomme und ja schließlich
eine Lebensversicherung habe. Ich zahle also den vollen Beitrag, bis
meine Altersvorsorge aufgebraucht ist. Aber das mit dem Halbieren
ist mir nicht ganz koscher, die PRV halbiert nur, wenn man dann im
Basistarif ist, zumindest war es bei der Bay.Beamten KK so. Und
der kommt dann halbiert immerhin auch wieder auf 300.-- Euro.

Hallo Maggi,
also jetzt bin ich schon etwas irritiert. Also, das war ich schon öfter.
Mein Schwiegervater war Taxifahrer und hat auch nur ca. 120.-- Euro
KK bezahlt. Du schreibst von 140.-- Euro. Die freiwillige KK bei der
Barmer kostet doch jetzt auch schon 600.-- Euro. Wie kommt Ihr zu diesen günstigen Beiträgen. Ich hab auch schon öfter damals bei der Barmer nachgefragt, aber es wurde von einem Einkommen von damals 30`DM ausgegangen und da lag der Beitrag so hoch. Komisch.
Wüde mich über Antworten freuen.
Gruß Altmann

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Beitragvon Rolien » 21.05.2009, 14:57

Rossi hat geschrieben:Obwohl dieses Problem schon bei der Begründung zum Gesetzentwurf allen Politikern bekannt war, scheint sich der politische Druck nunmehr zu erhöhen.

Guckt mal hier, ein Antrag an den Bundestag.




http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/127/1612734.pdf


Hallo zusammen! Ich hab gerade das Protokoll der Sitzung vom 14. Mai 2009 gelesen. Da tut sich erstmal gar nichts, befürchte ich. Es werden in Arbeitsgruppen mehrere Lösungsmöglichkeiten geprüft. Das kann sicher dauern...Ich weiß jedenfalls nicht, was ich machen soll...könnte den Antrag auf Grundsicherung noch maximal 2 Monate herausschieben und auf das Wunder hoffen, dass bis dahin eine Lösung gefunden wurde..Spannende Frage nämlich: welche? Wird es evtl. eine Übergangslösung geben...also man kann viell. doch noch in die GKV wechseln? bleibt man auf den Schulden, die bei der PKV angehäuft werden, sitzen? Welchen Tarif wähle ich als chronisch Kranke..., bin jetzt ganz schlecht PKV-versichert in einem Uralt-Tarif mit sehr hoher Selbstbeteiligung...Wechsel in den Basistarif günstiger oder nich? Tausend Fragen, die einem zur Zeit offensichtlich keiner beantworten kann.....oder doch? Viele Grüße

Rossi
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Beitragvon Rossi » 21.05.2009, 20:34

War doch irgendwie klar, dass sich dort nicht tut.

Das Problem war doch schon vorher bekannt; man konnte einfach keine Lösung finden. Warum soll man jetzt im Schweinsgalopp eine Lösung finden.

Ich glaube ehrlich gesagt, vor den Wahlen tut sich da nichts mehr.

Altmann
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Beitragvon Altmann » 22.05.2009, 12:17

Hallo Rossi und Andere,
wäre das schön, wenn der Antrag im Bundestag bearbeitet und igendwie eine
Regelung gefunden würde. Das Problem für diesen Personenkreis
ist echt schwieig und da hat der Gesetzgeber meines Erachtens
geschlafen.
Gruß Altmann

Rossi
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Beitragvon Rossi » 22.05.2009, 15:24

Also, ich habe mir jetzt mal das Protokoll der entsprechenden Sitzung reingepfiffen. Von den Fraktionen hat jeder etwas gesagt, aber konkrete Lösungsvorschläge sind nicht erbracht worden. Also erst einmal an die Ausschüße; dann ist es warm weg!

Jetzt packe ich sogar noch einen drauf. Es geht mir um die priv. Pflegeversicherung.

Die SGB II oder XII-Kunden, die eine private Krankheitskostenversicherung abgeschlossen haben, sollen ja auf im Bereich der Pflege abgesichert sein. Im VVG findet man nur etwas hinsichtlich der Krankenversicherung und nichts über die Pflegeversicherung.

Wenn man dann lange sucht, stößt man auf § 110 SGB XI. Dort ist geregelt, dass bei privat versicherten Kunden die priv. Kv. auch eine Pflegeversicherung anbieten muss.

Alles tuti.

Da ab dem 01.01.2009 alles anders ist; die priv. Kv. soll bezahlbar sein, hat man sich natürlich auch etwas für die private Pflegeversicherung ausgedacht.

Und wenn ich mir das gesamte Konstrukt mal ansehe, kräuslen sich bei mir die Nackenhaare. Hier gibt es nämlich die gleiche Unfallproblematik, wie im Bereich der priv. Krankenversicherung.

Allerdings mit einer kleinen feinen Einschränkung, dass die Kunden staatlich zu einer Ordnungswidrigkeit gedrängt werden, die mit bis zu 2.500,00 Euro geahndet werden kann. Ist das eine Behilfe zur Ordnungswidrigkeit? Oder hat der Gesetzgeber hier riesig gepennt.

Aber nehmen wir uns mal die rechtlichen Bestimmungen etwas näher unter die Lupe.

Das ganze findet man in § 110 Abs. 2 SGB II. Der Satz 1 gilt für die sog. Bestandsversicherten in der priv. Kv., als damals die Pflegeversicherung in kraft getreten ist. Den brauchen wir nicht näher unter die Lupe zu nehmen.

Aber dann geht es mit Satz 2 weiter:

§ 110 Abs. 2 Satz 2 SGB XI
Die in Absatz 1 Nr. 1 und 2 Buchstabe a bis f genannten Bedingungen gelten auch für Verträge mit Personen, die im Basistarif nach § 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes versichert sind.


Will heissen, wenn jemand im Basistarif steckt, dann kann die priv. Pflegeversicherung nicht machen was sie vielleicht will. Sie darf bpsw. keine Vorerkrankungen, keine längeren Wartezeiten, keine höheren Beiträge, etc. vereinbaren. Also alles gleich wie in der gesetzlichen Pflegeversicherung.

§ 110 Abs. 2 Satz 3 SGB XI
Für Personen, die im Basistarif nach § 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes versichert sind und deren Beitrag zur Krankenversicherung sich nach § 12 Abs. 1c Satz 4 oder 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes vermindert, darf der Beitrag 50 vom Hundert des sich nach Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe e ergebenden Beitrags nicht übersteigen; die Beitragsbegrenzung für Ehegatten oder Lebenspartner nach Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe g gilt für diese Versicherten nicht.


Okay, die Konstellationen der Sätze 4 - 6 des § 12 Abs. 1 c VAG kennen wir alle. Wenn ein Kunde diese Voraussetzungen erfüllt, darf der Beitrag max. die Hälfte des Höchstbeitrages betragen. Also keine Halbierung, wie im Bereich des Basistarif, sondern einfach nur eine Beschränkung auf die Hälfte des Höchstbeitrages. Jene gesetzliche Bestimmung ist schon etwas anders.

Dann kommt der Satz 4

§ 110 Abs. 2 Satz 4 SGB XI
Für die Aufbringung der nach Satz 3 verminderten Beiträge gilt § 12 Abs. 1c Satz 5 oder 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes entsprechend; dabei gilt Satz 6 mit der Maßgabe, dass der zuständige Träger den Betrag zahlt, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der sozialen Pflegeversicherung zu tragen ist. Entsteht allein durch die Zahlung des Beitrags zur Pflegeversicherung nach Satz 2 Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches, gelten die Sätze 3 und 4 entsprechend; die Hilfebedürftigkeit ist vom zuständigen Träger nach dem Zweiten oder Zwölften Buch auf Antrag des Versicherten zu prüfen und zu bescheinigen.


Und hier kommt dann auch wieder der Sensemann. Die priv. Versicherer dürfen max. 50 % des Höchstbeitrages (derzeit 3.675,00 Euro * 1,95 % / 2 = 35,83 Euro) nehmen. Bei einem lfd. hilfebedürftigen Kunden zahlt der SGB II oder XII-Träger aber nur max. 17,79 Euro (2.520 * 0,362 * 1,95 %)

Also auch wieder ne Beitragslücke von 18,04 Euro monatlich.

Es wird dann vermutlich nur eine paar Monate dauern, dann bekommen die Kunden von der priv. Kv. einen Bußgeldbescheid; er soll dann nämlich, weil er mit mehr als 6 Monatsprämien in Rückstand ist, 2.500,00 Euro löhnen.

Diese Geschichte ist nämlich in § 121 Abs. 2 SGB XI geregelt:


§ 121 SGB XI Bußgeldvorschrift

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig
1....
6. mit der Entrichtung von sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung in Verzug gerät.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 2.500 Euro geahndet werden.


Ich verstehe das Ganze mittlerweile nicht mehr.

Altmann
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Beitragvon Altmann » 23.05.2009, 11:44

Dank Rossi,
für die vielen Paragraphen. Aber ich glaub, an dem Thema müssen
wir drann bleiben. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung und Info falls sich
was tut.
Gruß Altmann

Rossi
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Beitragvon Rossi » 25.05.2009, 18:27

Tja, was soll ich sagen, ich bin erschüttert, was im Bundestag am 14.05.2009 diskutiert worden ist.

Ich stelle mal hier die Reden von den Politikern ein.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Krankenversicherung für Selbständige bezahlbar gestalten

– Drucksache 16/12734 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kollegen Max Straubinger, Karl Lauterbach, Daniel Bahr,
Birgitt Bender, Frank Spieth und die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.

Max Straubinger (CDU/CSU):
Zunächst möchte ich für meine Fraktion ein gewisses Erstaunen darüber nicht verhehlen, dass die Linke im Titel ihres heute zu debattierenden Antrags suggeriert, das Wählerpotenzial der Selbstständigen entdeckt zu haben.Schließlich lautet der Antrag: „Krankenversicherung für Selbständige bezahlbar gestalten“. Doch um privat versicherte Selbstständige geht es der Linken ja auch gar nicht. Vielmehr geht es ihr einmal mehr darum, Hartz-IV-Versicherte in der GKV und solche, die lediglich aus systematischen Gründen der PKV zuzuordnen sind, vor finanzieller Überforderung durch Beitragspflichten zu schützen. Womit ich ausdrücklich nicht sagen möchte, dass dort, wo es tatsächlich Ungereimtheiten oder Ungerechtigkeiten bei gesetzlich auferlegten Bei tragspflichten gibt, nicht tatsächlich auch Korrekturen erfolgen sollten. Ich komme gleich darauf zurück.

Zuvor stelle ich fest: Der Antragstitel ist also trügerisch .Denn tatsächlich selbstständige Unternehmer oder Freiberufler sind gar nicht der Adressat. Alles andere wäre ja auch höchst verwunderlich. Für diese Zielgruppe hat die Linke ja auch nicht wirklich viel übrig. Im Gegenteil! Nehmen wir das Thema Steuern: Was die Linke dortan Daumenschrauben in ihrem Sammelsurium steuerpolitischer Belastungen für Selbstständige und Freiberuflerbereithält, ist mehr als beachtlich – oder besser: abschreckend. Doch zurück zum eigentlichen Inhalt des Antrages und der von der Linken angeführten Ungerechtigkeit bei derBemessung von Beiträgen für freiwillig Versicherte. Die unterschiedliche Beitragsbelastung freiwillig gesetzlichversicherter Grundsicherungsempfänger und gesetzlich pflichtversicherter Grundsicherungsempfänger ist tatsächlichschwer nachvollziehbar. Die beklagten Folgen sind ganz offenbar Ergebnis des Bemühens der Bundesgesundheitsministerin, die Attraktivität der privaten Krankenversicherung so weit wie möglich zu schmälern. Warum? Weil die Betroffenen als Ausweg ja schließlich zumindest theoretisch in den neu geschaffenen Basistarif der PKV wechseln könnten. Doch auch dort hat man die Schwellen entsprechend hoch gehängt. Schließlich liegt auch in der PKV der von Hilfebedürftigen aufzubringende Beitrag bei knapp 300 Euro.

Im Unterschied zu pflichtversicherten GKV-Mitgliedern kommt für Beitragsausfälle infolge von Hilfebedürftigkeit bei der PKV nur nicht die Allgemeinheit auf. Dies wird vielmehr der übrigen Versichertengemeinschaft zugemutet. In der GKV leistet die Gemeinschaft der Steuerzahler über die Träger der Grundsicherung Hilfe. Auch dieses Beispiel zeigt, dass zwischen und sogar innerhalb der beiden Krankenversicherungssysteme mit den Neuregelungen im Bereich des SGB V manche Ungereimtheitengeschaffen wurden, die es zu korrigieren gilt.

Eine Anmerkung zum Punkt zwei des Antrages, in dem die Linke fordert, dass hilfeberechtigte Hartz-IV-Empfänger und Sozialhilfeempfänger nicht mehr für den Basistarif der PKV zahlen müssen, als sie vom Träger derGrundsicherung dafür erhalten: Nach geltendem Recht würde dies bedeuten, dass die PKV-Gemeinschaft und eben nicht die Allgemeinheit dauerhaft für die Differenz zwischen notwendigem Beitrag und geleistetem Beitrag geradestehen müsste.

Die Linke wird anführen, dass dies bei der GKV ja nicht anders sei, weil schließlich der von der Bundesagentur für Arbeit bzw. den Sozialämtern abgeführte Beitrag an die Krankenkassen auch deutlich unter dem eigentlich erforderlichen Beitrag liegt. Und tatsächlich bin auch ich an diesem Punkt der Meinung, dass dies nicht auf Dauer gerechtfertigt sein kann. Nur, erstens scheitert eine Korrektur in dieser ja gerade auch von der Bundesgesundheitsministerin forcierten Frage bisher vorallem am Widerstand ihres Parteifreundes, des Bundesfinanzministers. Und zweitens darf darauf verwiesen werden, dass wir uns gerade erst auf den Weg gemacht haben, einen dauerhaften und mehr als nennenswertenGKV-Bundeszuschuss aus Steuermitteln zu etablieren, mit dem gesamtgesellschaftliche Aufgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung geschultert werden.

Zu diesen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben des Steuerzahlers zählt zweifelsfrei auch der Schutz Hilfebedürftiger vor finanzieller Überforderung durch Krankenversicherungsbeiträge. Und auch dieser Hinweis sei erlaubt: Einen solchen Bundeszuschuss für gesamtgesellschaftliche Aufgaben kennt die PKV nicht, wobei uns doch eigentlich auch dort etwa der Versicherungsschutz von Kindern genauso viel wert sein müsste wie in der gesetzlichen Krankenversicherung. In der GKV jedenfalls finanziert der Steuerzahler die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern. Der in der PKV versicherte kleine Beamte muss hierfür selbst Beiträge entrichten. Auch dies wäre ein Thema, dem sich die Linke einmal widmen könnte.

Ich darf zusammenfassen: Unbestreitbar existieren bei der Ausgestaltung der Beitragspflichten zur Krankenversicherung für eng begrenzte Personengruppen Ungereimtheiten, die von den Betroffenen als ungerecht und tatsächlich auch als korrekturbedürftig empfunden werden. Nur sollte man diese Ungereimtheiten nicht jeweils einer isolierten Lösung zuführen. Denn mit jeder vermeintlichen Gerechtigkeitslücke, die wir schließen, reißen wir neue auf. Im Steuerrecht ist dies nicht anders.

Ich plädiere deshalb mit Nachdruck für eine umfassende Bestandsaufnahme. Danach sollten wir uns gemeinsam um Korrekturen bemühen, die allen betroffenen Gruppen gerecht werden, selbstverständlich auch den freiwillig GKV-versicherten Selbstständigen.

Gerade in dieser Gruppe von Versicherten vollziehen wir mit der Rolle rückwärts beim Krankengeld ja gerade eine höchst pragmatische Kehrtwende. Die Quasirückkehr zum alten Recht, in dem freiwillig GKV-versicherte Selbstständige ihren Krankengeldanspruch durch Leistung des allgemeinen Beitragssatzes erwerben, ist ein Gebot der Vernunft und der Gerechtigkeit. Auch in dieser Frage zeigt sich, dass pragmatische Regelungen im Interesse der Betroffenen allemal besser und gerechter sind als ideologisch gefärbte Versuche, freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung verbliebene Selbstständige zu vergraulen.

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Dr. Karl Lauterbach SPD

Beitragvon Rossi » 25.05.2009, 18:28

Dr. Karl Lauterbach (SPD):

Bei den privat versicherten ALG-II-Empfängern und Sozialgeldempfängern besteht in der Tat eine Regelungslücke. Dies hat die SPD-Fraktion auch frühzeitig erkannt. Allerdings konnte hier mit dem Koalitionspartner noch keine befriedigende Lösung erreicht werden. Der Antrag der Linken greift hier aber dennoch deutlich zu kurz. Das grundlegende Problem unseres Gesundheitssystems ist nicht die finanzielle Überforderung privat versicherter Arbeitsloser, sondern die willkürliche Zweiteilung des Krankenversicherungssystems in gesetzliche und private Kassen mit der Konsequenz einer zunehmenden Zweiklassenmedizin.

Ein gesetzlich Versicherter mit einem Höchstbeitrag von 550 Euro im Monat zahlt davon circa 250 Euro für die Krankenversicherung der Einkommensschwachen. Wechselt er in die private Krankenversicherung, muss er dies nicht mehr bezahlen, weil die private Krankenversicherung am Finanzausgleich der Krankenkassen zwischen gering Verdienenden und gut Verdienenden nicht teilnimmt. Nur aus diesem Grunde können die privaten Krankenversicherungen trotz höherer Honorare für die Ärzte und mehr als doppelt so hohen Verwaltungsausgaben billiger als die gesetzlichen Kassen sein. Wer bei hohem Einkommen gesetzlich versichert bleibt, zahlt nicht nur mehr, sondern muss dazu beim Arztbesuch warten, bis der privat Versicherte behandelt wurde, leistet dann die Praxisgebühr und zahlt selbst für ein Arzneimittel im Wert von zehn Euro fünf Euro beim Apotheker dazu. Über die Jahrzehnte zahlt er mehrere Hunderttausend Euro Beitrag. Wird er dann krank, steht ihm die Privatsprechstunde eines Universitätsprofessors nicht zu, der dagegen den privat versicherten Studenten empfängt.

Dieses System ist mittlerweile nicht nur einzigartig in Europa, sondern auch einzigartig ungerecht. In Zukunft müssen wir sicherstellen, dass alle Bürger einen Solidarbeitrag zur Gesundheitsversorgung leisten und umgekehrt Anspruch auf die Solidarität der Gesellschaft haben. Alle Bürger sollen die Pflicht zur Versicherung haben und einkommensabhängige Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze zahlen, die an den Gesundheitsfonds abgeführt werden, wobei zu prüfen ist, ob die Beitragsbemessungsgrenze angehoben wird. Einer Versicherungspflichtgrenze bedarf es dann nicht mehr. Die Pflicht zur Versicherung sollte sowohl bei gesetzlichen Krankenkassen als auch bei privaten Krankenversicherungsunternehmen realisiert werden können. In dieser neuen Pflichtversicherung sollte Kontrahierungszwang herrschen, und Risikozuschläge sollten unzulässig sein. Alle Krankenversicherer, die die Pflichtversicherung durchführen, erhalten dann pauschalierte Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.

Nur auf dieser Grundlage eines einheitlichen Versicherungssystems können wir auch die Lösung der weiteren zentralen Probleme, die unser Gesundheitssystem leider prägen und eine gute medizinische Versorgung für die Menschen in Deutschland gefährden, angehen.

Denn das deutsche Gesundheitssystem ist leider insgesamt schlechter als sein Ruf: in der Welt hoch angesehen wegen seiner Solidarität zwischen den Versicherten und wegen der hohen Qualität der Ärzte, Pfleger und der Einrichtungen. In Wahrheit allerdings verschärft sich die Zweiklassenmedizin immer mehr, was jeder gesetzlich Versicherte – und das sind 90 Prozent der Bevölkerung – am eigenen Leib spürt. Im Vergleich zu privat Versicherten müssen gesetzlich Versicherte dreimal so lange beim niedergelassenen Facharzt warten, und das auch bei wichtigen diagnostischen Leistungen, die für die Abklärung einer ernsthaften Erkrankung notwendig sind. Aber auch wenn er einen Termin bekommt, ist eine adäquate Versorgung keineswegs gewährleistet. Auch wenn die Beitragszahler so viel Geld wie in kaum einem anderen Land für die medizinische Versorgung bereitstellen, ist die Qualität meist nur Mittelmaß.

Mehrere Ursachen führen zu diesem Befund: Erstens ist unser ganzes System zu wenig auf Vorbeugemedizin ausgerichtet. Über 95 Prozent unserer Gesundheitsausgaben gehen in die rein kurative Versorgung. Dabei ist es mittlerweile wissenschaftlich gesichert, dass rund 80 Prozent aller Krankheitsfälle durch eine bessere Vorbeugung vermieden, aufgeschoben oder gelindert werden können.

Zweitens. Uns gehen die Hausärzte aus. Wir haben zwar immer noch eine hohe Ärztedichte, aber leider nicht mehr bei den Hausärzten. In kaum einem anderen Land gibt es so viele Fachärzte pro Hausarzt, nämlich zweieinhalb Mal so viel, wie in Deutschland. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Hausärzte jedes Jahr weiter ab. Das ist besonders bitter, weil die Hausärzte diejenigen wären, die verstärkt die Vorbeugemedizin anbieten könnten, weil sie oft ihre Patienten über lange Zeiträume hinweg versorgen.

Drittens. Die einzelnen Akteure arbeiten nicht gut genug zusammen. Kein Gesundheitssystem der Welt trennt so streng die Aufgaben der Krankenhäuser von den Aufgaben der niedergelassenen Ärzte wie unseres. Für die schweren Fälle ist das Krankenhaus zuständig, für die leichten der niedergelassene Hausarzt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir eines der wenigen Länder sind, das Fachärzte sowohl in der Praxis als auch im Krankenhaus vorhält. So kommt es, dass in vielen Fällen die niedergelassenen Fachärzte sogar mit den Klinikärzten um denselben Patienten konkurrieren anstatt zu kooperieren.

Viertens. Die Fortbildung unserer Ärzte ist zu schlecht organisiert und zu gering vergütet. In kaum einer Disziplin ist der Fortschritt so rasant wie in der Medizin. Täglich erscheinen Hunderte medizinische Studien. Es gibt mehrere Zehntausend medizinische Fachzeitschriften. Ein Allgemeinarzt müsste jeden Tag 17 Artikel lesen, um sich über die in seinem Fachgebiet gewonnenen Erkenntnisse zu informieren. Die jetzt vorgeschriebene ärztliche Fortbildung wird meistens von der Pharmaindustrie gesponsert und ist mit einfachsten Anforderungen im Internet zu bewältigen. Das System belohnt Ärzte, die es sich so einfach wie möglich machen, und bestraft diejenigen, die viel Geld und Zeit in ihre Fortbildung investieren.

Fünftens. Wir haben zwar viele Fachärzte, aber wenig Spezialisten. Ein Facharzt für Chirurgie beispielsweise, der auch Knieverletzungen operiert, ist längst noch kein Meniskusspezialist. Daher kommen bei uns für viele Krankheiten mehr Fachärzte, aber weniger Spezialisten auf 1 000 Einwohner als in anderen Ländern. Dies ist eine direkte Folge des falschen Honorarsystems, in dem eine konsequente Spezialisierung für viele Fachärzte das wirtschaftliche Aus bedeutet hätte. So kommt es, dass die wenigen Spezialisten in Deutschland vorwiegend privat Versicherte behandeln, weil sie dort ein höheres Honorar generieren können. Das Nachsehen hat auch hier die große Mehrheit der gesetzlich Versicherten, die entweder gar nicht beim Spezialisten drankommt oder sehr lange Wartezeiten in Kauf nehmen muss.

Die Lösung dieser Probleme hat die SPD in ihrem Programm vorgelegt. Das werden wir in der Wahlauseinandersetzung deutlich machen, und das werden wir auch nach der Wahl umsetzen.

Wir brauchen einen dritten Weg jenseits von Marktradikalisierung und Staatsmedizin. Das zentrale Anliegen dabei muss die Überwindung des zweigeteilten Versicherungssystems sein. Wir brauchen eine Versicherung von allen, von allem für alle. Damit einher geht auch eine einheitliche Gebührenordnung für privat wie gesetzlich Versicherte gleichermaßen. Dies wäre der wirkungsvollste Ansatz im Kampf gegen die Zweiklassenmedizin. Die Kliniken sollten stärker als bisher für die ambulante Versorgung geöffnet werden. Auch hier sollte eine einheitliche Gebührenordnung für niedergelassene Fachärzte und Kliniken gelten. In diesem Fall belebt Konkurrenz nicht nur das Geschäft; die stärkere Öffnung der Krankenhäuser kann auch zu mehr Kooperation und damit zu einer Qualitätssteigerung führen.

Wir müssen Hausärzte deutlich besser bezahlen als heute. Heute ist es so, dass diejenigen Ärzte am meisten verdienen, die kaum einmal einen Patienten lebend oder am Stück zu Gesicht bekommen, wie Pathologen oder Laborärzte. Die Hausärzte hingegen waren in den letzten beiden Jahrzehnten fast immer die Verlierer bei den innerärztlichen Honorarverteilungskonflikten. So kommt es, dass heutzutage ein Hausarzt nur noch die Hälfte dessen verdient wie beispielsweise ein Röntgenarzt. Eine bessere Honorierung der Hausärzte, die diesen Beruf wieder so attraktiv macht, wie er es verdient, ist auch der Schlüssel zu mehr Vorbeugemedizin.

Der dritte Weg in der Gesundheitspolitik wäre in der Tat der beste, würde man ihn auch konsequent gehen. Er verbindet die Vorteile des Marktes mit denen eines starken Sozialstaates. Die Rolle des Marktes ist es dabei, Innovation und Wirtschaftlichkeit zu stützen. Dazu muss der Verbraucher gestärkt werden. Weil er ohne Hilfe nicht erkennen kann, was echte Innovationen sind und was nur als Innovation verkauft wird, müssen die Krankenkassen und die Verbraucherschützer die Qualität der Tätigkeit von Ärzten und Kliniken auswerten und öffentlich machen. Ärzte müssen ohne Einfluss der Pharmalobby fortgebildet und nach der Qualität ihrer Leistungen honoriert werden, nicht nach der Zahl der Privatpatienten.

Zum besseren Wettbewerb gehört auch eine bessere Bezahlung von Vorbeugeleistungen, die besonders von Hausärzten angeboten werden. Es ist unsinnig, die Vorbeugung zu vernachlässigen, nur um unser Überangebot an Fachärzten auszulasten. Daher müssen die Wettbewerbsbedingungen so geändert werden, dass man mit dem Erhalt der Gesundheit so gut verdienen kann wie mit ihrer Wiederherstellung.

Eine gute Gesundheitspolitik kann dafür sorgen, dass alle, ob arm oder reich, von einem Gesundheitssystem, das sich durch Qualität und Wirtschaftlichkeit auszeichnet, profitieren. Sie muss garantieren, dass genug Geld in die Aus- und Weiterbildung von Ärzten fließt, und die Forschung in Deutschland gezielt fördern. Dann könnte das deutsche Gesundheitssystem international an die Spitze zurückkehren. Das Potenzial dafür hat Deutschland, und die Bürger werden in den kommenden Jahren die Politik unterstützen, die dafür sorgt, dass dieses Potenzial endlich ausgeschöpft wird. Sie können sicher sein, dass die SPD genau diese Politik vertritt und gestalten wird.

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Daniel Bahr (FDP)

Beitragvon Rossi » 25.05.2009, 18:29

Daniel Bahr (Münster) (FDP):

Die Linke macht mit ihrem Antrag auf einen Missstand aufmerksam, den auch die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag stets kritisiert hat. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung – GKV-WSG – wird die Höhe der Prämie für hilfebedürftige Versicherte im Basistarif einer privaten Krankenversicherung halbiert. Diese Halbierung muss durch die Versichertengemeinschaft der privaten Krankenversicherung getragen werden. Zu der dann noch verbleibenden Prämie erhält der hilfebedürftige Versicherte zwar einen Zuschuss aus Steuermitteln, es bleibt jedoch eine für viele nicht schulterbare Finanzierungslücke.

Diese Finanzierungslücke von über 155 Euro ist der schwarz-roten Koalition nicht nur bereits seit dem Gesetzgebungsverfahren zum GKV-WSG bekannt, sie hat sie sogar bewusst ignoriert, wie Frau Dr. Reimann, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, dies im „Tagesspiegel“ vom 4. Mai 2009 auch offen zugibt. Damit sollte ganz bewusst eine Situation geschaffen werden, die darauf hinausläuft, dass die anderen PKV-Versicherten diese Finanzierungslücke durch eine Verteuerung ihrer Tarife schließen müssen. Das ist nicht nur inhaltlich falsch. Das ist auch unverantwortliches politisches Handeln.

Eine solche Irreführung der Parlamentarier, die über das Gesetz abzustimmen hatten, und auch der Bürger, die diesen Prozess aufmerksam beobachtet haben, ist dem Ansehen des Gesetzgebers und der Politik nicht förderlich. Für Frau Dr. Reimann stellt dies, so ihre Äußerungen im genannten Beitrag des „Tagesspiegels“, „kein Problem“ dar. Es handle sich ja nicht um besonders viele Fälle. Für die FDP-Bundestagsfraktion ist dies jedoch ein weiterer Schritt in das Aufweichen der politischen Sitten. Und es ist die Fortsetzung des Versuchs, die private Krankenversicherung zu schwächen, um beim Marsch in ein staatlich gelenktes, zentralistisches Einheitskassensystem wieder ein Stück voranzukommen.

Die Linke greift mit ihrem zur Debatte stehenden Antrag zwar dankenswerterweise ein berechtigtes Anliegen auf. Nichtsdestoweniger ist die Lösung, die Finanzierungslücke durch die Versichertengemeinschaft der privaten Krankenversicherung tragen zu lassen, falsch.

Für die FDP-Bundestagsfraktion ist es zwar eine Selbstverständlichkeit, dass derjenige, der seine Prämie aus eigenen Kräften nicht schultern kann, unterstützt werden muss. Aus den Regelsätzen für Hartz IV bzw. der Grundsicherung kann die Finanzierungslücke bei der Prämie nicht bestritten werden. Dies ist für die FDP-Bundestagsfraktion jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die damit nicht über die Versichertengemeinschaft, sondern über das Steuer- und Transfersystem gelöst werden muss. Auch in unserem Antrag „Für ein einfaches, transparentes und leistungsgerechtes Gesundheitswesen“, der im Plenum des Deutschen Bundestages bereits beraten wurde, schlagen wir einen sozialen Ausgleich über das Steuer- und Transfersystem vor. Denn dort ist er transparenter und zielgenauer.

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Frank Spieth (DIE LINKE)

Beitragvon Rossi » 25.05.2009, 18:30

Frank Spieth (DIE LINKE):

„Alle Menschen werden krankenversichert“ ließ die Bundesregierung 2007 republikweit plakatieren. Ein ehrgeiziges Ziel, ein richtiges Ziel! Aber daran muss sich die Bundesregierung auch messen lassen. Werden alle Menschen krankenversichert? Nein! Es gibt etwa eine Million papierlose Flüchtlinge – manche nennen sie „Illegale“ –, die in aller Regel keine Absicherung im Krankheitsfall haben. Das haben wir schon mehrfach in Anfragen thematisiert, und die Bundesregierung hat abgewunken.

Aber auch nicht alle „legalen“ Einwohner Deutschlands haben einen Krankenversicherungsschutz. Darum geht es bei unserem Antrag. Es gibt eine große Gruppe von geringverdienenden Selbstständigen, die nicht krankenversichert waren und die immer noch unversichert sind. Ihr Problem vor der Gesetzesänderung 2007 war, dass sie sich die Krankenversicherung schlicht nicht leisten konnten. Seit April 2007 haben nun die zuletzt gesetzlich versicherten Selbständigen zwar die Pflicht, sich zu versichern. Sie haben jedoch – das ist das Kernproblem – immer noch nicht das Geld dazu.

Im Gegensatz zu geringverdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen Selbstständige mit gleich niedrigem Einkommen relativ hohe Krankenkassenbeiträge zahlen. Mindestens 300 Euro müssen sie monatlich der Krankenkasse überweisen. Nur unter gewissen Voraussetzungen wird dies auf 200 Euro Mindestbeitrag gesenkt. Das entspricht dem Beitrag bei einem Einkommen von 1 890 Euro bzw. 1 260 Euro.

Viele Selbstständige – der Döner-Verkäufer, der Handwerker, die Friseurin oder die Kioskbesitzerin – haben oft nur um die 900 Euro Gewinn. Davon sollen sie dann 200 oder 300 Euro Krankenkassenbeiträge zahlen. Das entspricht einer Beitragsbelastung von bis zu 33 Prozent. Zum Vergleich: Der normale Arbeitnehmer zahlt zusammen mit seinem Arbeitgeber 15,5 Prozent, alleine aus seinem Einkommen 8,2 Prozent. Ein Bundestagsabgeordneter zahlt wegen der Beitragsbemessungsgrenze nur einen Eigenanteil von 3,9 Prozent! Dies ist eine Riesen-Ungerechtigkeit! Eine Call-Center-Telefonistin auf Selbstständigen- Basis zahlt prozentual zehn Mal mehr als ein gutverdienender Bundestagsabgeordneter.

Wir wollen eine allgemein verbindliche Untergrenze von 840 Euro. Unterhalb dieser Summe tritt in der Regel Hilfebedürftigkeit ein und die ARGE zahlt die Krankenversicherung. Darüberliegende Einkommen sind in ihrer realen Höhe zur Beitragszahlung heranzuziehen. Die bisherigen fiktiven Mindesteinkommen werden abgeschafft. Im Ergebnis zahlen die betroffenen Selbstständigen mit 840 Euro Monatseinkommen also nicht mehr 300 oder 200 Euro, sondern nur 130 Euro. Das ist völlig ausreichend, finden wir.

Das gilt für alle Selbstständigen, die gesetzlich krankenversichert sind. Bei der Gruppe der privat Versicherten gibt es ein anderes Problem, welches wir lösen wollen. Ist ein Selbstständiger, der arbeitslos wird, Mitglied in einer privaten Krankenversicherung, dann hat er Pech: Seit Anfang 2009 ist er gesetzlich gezwungen, in der privaten Krankenversicherung zu bleiben. Die private Krankenversicherung darf im Basistarif von Hilfebedürftigen 284,81 Euro verlangen. Die ARGE zahlt aber nur 129,54 Euro. Es bleibt also eine Differenz von 155,27 Euro. Wer zahlt das?

Die Bundesregierung sagt: Das muss der Hilfebedürftige selbst zahlen. Seit Monaten erinnere ich die Bundesregierung an diesen sozialpolitischen Mangel und erhalte immer die gleiche abweisende Antwort: Man sehe hier durchaus Handlungsbedarf und man habe eine Arbeitsgruppe gegründet, die Lösungen erarbeiten soll. Ich habe die Hoffnung ja noch nicht aufgegeben, dass die Ministerien für Soziales und Gesundheit – beide SPD-geführt – hier nicht nur heiße Luft produzieren, sondern Politik für die Betroffenen machen.

Auf meine Fragen hat die Bundesregierung zudem geantwortet, die privaten Krankenversicherungen müssten bei Hilfebedürftigen alle Leistungen erbringen – auch wenn diese nicht zahlten. Das ist richtig. Jedoch bauen die Hilfebedürftigen damit Schulden bei ihrer Versicherung auf. Nach derzeit geltendem Recht bedeutet das: Wer zum Januar 2009 arbeitslos wurde und immer nur die 129,54 Euro weiterreicht, die die ARGE für eine Krankenversicherung zur Verfügung stellt, bekommt zwar alle Leistungen. Er hat aber Ende 2009 bereits knapp 1 900 Euro Schulden. Falls er dann wieder Arbeit findet, wird er erstens sofort zahlungspflichtig und zweitens kann die Versicherung die Leistungen dann so lange auf ein Mindestmaß kürzen, bis alles beglichen ist. Das ist absurd.

Betroffene haben sich an mich gewendet. Sie wollen mittlerweile ihre Krankenversicherung kündigen, obwohl sie krank sind und dringend eine Versicherung brauchen. Sie haben genug von der immer bedrückenderen Verschuldung und genug von dem Rechtsstreit mit der Versicherung. Mit jedem Tag, an dem wir hier im Bundestag mit der Entscheidung warten, wird das Problem drängender. Daher bitte ich Sie, dieses Gesetz noch vor der Bundestagswahl zu ändern.

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Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Beitragvon Rossi » 25.05.2009, 18:30

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

„Ganz Deutschland ist versichert!“ – so jubelte es aus den Anzeigen der Bundesregierung nach der Gesundheitsreform. Die allgemeine Versicherungspflicht wurde als sozialpolitische Großtat dargestellt und sollte so über die vielen Defizite der Reform hinwegtäuschen. Doch schon nach kürzester Zeit erweist sich das als bloßes Illusionstheater. Tatsächlich hat die Gesundheitsreform nichts daran geändert, dass für viele Selbstständige der Krankenversicherungsschutz nicht finanzierbar ist. Das betrifft insbesondere solche Selbstständigen, die als Ein- Mann- bzw. Ein-Frau-Unternehmen tätig sind. Diese Gruppe macht inzwischen mehr als die Hälfte aller Selbstständigen aus. Doch das Krankenversicherungsrecht geht nach wie vor von einem überholten Selbstständigenbild aus. Demnach sind Selbstständige typischerweise in der Lage, selbst für die Kosten ihrer Gesundheitsversorgung aufzukommen, und deshalb nicht auf den Schutz der Solidargemeinschaft angewiesen. Dieses Selbstständigenbild ist aber überholt. Viele der über 2,3 Millionen Solo-Selbstständigen verfügen über deutlich geringere Einkommen als vergleichbar qualifizierte Angestellte. Der Basistarif in der PKV ist für sie zu teuer, die Mindestbemessungsgrundlage in der GKV zu hoch. Die Kolleginnen und Kollegen von der Linken schlagen deshalb vor, den Basistarif und die Mindestbemessungsgrundlage weiter abzusenken. Ich halte diesen Vorschlag für begründet. In der gesetzlichen Krankenversicherung werden die Beiträge einkommensabhängig erhoben. Mindestbeiträge sind innerhalb dieses Solidarsystems eigentlich ein Fremdkörper. Schade ist allerdings, dass der Antrag mit keinem Wort auf die wesentliche Ursache dieses sozialpolitischen Problems eingeht. Und das ist die Zweiteilung unseres Krankenversicherungssystems in GKV und PKV und der Umstand, dass sich ausgerechnet die wirtschaftlich leistungsstärksten Bevölkerungsgruppen dem Solidarausgleich innerhalb der GKV entziehen können.

Es ist dieses „Ausstiegsprivileg“, das innerhalb der GKV eine Mindestbemessungsgrundlage für freiwillig Versicherte erforderlich macht. Ohne eine solche Grenze würden sich für die gesetzliche Krankenversicherung vor allem einkommensschwache Selbstständige mit hohen Gesundheitsrisiken entscheiden, die keine kostengünstige Aufnahme in die PKV finden. Die meisten anderen Selbstständigen würden sich auch weiterhin privat versichern. Damit würden aber die gesetzlich Krankenversicherten weiter belastet. Und das ist auch schon dann der Fall, wenn man auf die Mindestbemessungsgrundlage nicht verzichtet, sondern sie deutlich reduziert. Der von den Kolleginnen und Kollegen der Linken angestrebte Mindestbeitrag von 125 bis 130 Euro würde die entstehenden Leistungsausgaben im Durchschnitt nicht decken. Damit ist für mich die Forderung nach einer Reduzierung des Mindestbeitrags nicht vom Tisch. Aber diese Überlegung zeigt auch, dass eine wirklich gute Lösung nur mit einer umfassenden Reform zu finden sein wird. Erst durch die Weiterentwicklung unseres Krankenversicherungssystems in eine Bürgerversicherung, an der alle Bevölkerungsgruppen beteiligt sind, werden sich die vielen Systembrüche und Ungerechtigkeiten, die heute zwischen GKV und PKV stattfinden, beheben lassen.

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Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin beim BMG

Beitragvon Rossi » 25.05.2009, 18:31

Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit:

Lassen Sie mich zu dem vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke eines feststellen: Die Bundesregierung hat bedürftigen Selbstständigen bereits eine wichtige Hilfe gegeben. Selbstständige, die nur ein geringes Einkommen haben, zahlen 30 Prozent weniger Beiträge als im Normalfall. Das haben wir mit der letzten Gesundheitsreform realisiert. Allen Selbstständigen geringere Beitragszahlungen ermöglichen zu wollen, halte ich aber für zu weit gegriffen. Nicht nur die Selbstständigen, sondern alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung sind daran interessiert, möglichst geringe Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen. Ein verständliches Anliegen. Beitrag und Leistung müssen jedoch immer in einem angemessenen Verhältnis zueinanderste zueinanderstehen, die Krankenversicherung macht hier keine Ausnahme.

Besondere Mindestbeiträge für Selbstständige haben schon deshalb einen Sinn, weil das Steuerrecht den Selbstständigen, anders als Arbeitnehmern, eine gewisse Gestaltbarkeit des Einkommens erlaubt. Diese steuerrechtlichen Möglichkeiten dürfen sich aber nicht in Form ungerechtfertigt niedrigerer Beiträge auf die gesetzliche Krankenversicherung auswirken. Zudem belasten Versicherte, die keine oder nur geringe Beiträge zahlen, die übrigen Beitragszahler der Solidargemeinschaft, da Beitragsfreiheit oder geringe Beiträge immer von den übrigen Beitragszahlern mitfinanziert werden müssen. Das kann nicht richtig sein.

Zum zweiten Punkt Ihres Antrags will ich betonen: Mit der Gesundheitsreform haben auch Menschen mit geringerem Einkommen die Möglichkeit erhalten, in der PKV versichert bleiben zu können; denn seit dem 1. Januar 2009 dürfen die Versicherungsunternehmen niemandem mehr kündigen, der Beitragsrückstände aufweist. Sie müssen zudem Notfallleistungen in jedem Fall bezahlen. Und bei Hilfebedürftigen im Basistarif müssen die Versicherer die Leistungen sogar in vollem Umfang gewähren. Es kann also keine Rede davon sein, dass – wie Sie schreiben – die Betroffenen keinen Krankenversicherungsschutz garantiert bekämen. Zu dem Problem, um das es Ihnen konkret geht – die Beitragslücke, die nur bei Personen entstehen kann, die bereits ALG II beziehen und pivat versichert sind –, habe ich bereits im Gesundheitsausschuss Stellung genommen. Die Bundesregierung prüft derzeit verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Das Ergebnis dieser Prüfung werden Sie abwarten müssen.



Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12734 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden?
– Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

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Beitragvon Rossi » 25.05.2009, 18:32

Jegliche weitere Kommentare möchte ich mir hier an dieser Stelle ersparen.

Der SWR Mainz ist dabei eine Reportage über den betroffenden Personenkreis zu erstellen.


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